Von griesgrämigen Pentahörnern und lächerlichen Paladinen
Viele Fantasy-Welten mit ihren archaischen Sozialstrukturen und ihren Hex-Hex-Problemlösungsstrategien haben etwas Rückwärtsgewandtes. Nicht so „Coda“ von Simon Spurrier (Autor), Matias Bergara (Zeichner) und Michael Doig (Farben). Mit Witz, Phantasie, Ironie und skurrilen Figuren führen sie die Leser*innen durch eine unglaubliche Welt.
Dass früher alles besser war, steht schon auf alten babylonischen Tontafeln geschrieben, und auch die Idee von einem Goldenen Zeitalter geht davon aus, dass inzwischen nicht mehr Gold ist, was früher einmal glänzte. In der Welt von Coda gab es einst fliegende Drachen, Kristallschlösser, verzauberte Schwerte, Blitzmagier und alles, was das Arsenal an literarischen Fantasy-Klischees so hergibt. Aber dann kam der Quench, ein weltumspannender Kampf von Gut gegen Böse, an dessen Ende das Leid sich ausbreitete und eine Welt (fast) ohne Magie zurückließ.
In dieser Welt, die man durchaus postapokalyptisch nennen darf, ist der namenlose Held mit seinem griesgrämigen Pentahorn Näg, einem fünfhörnigen Einhorn, auf der Suche nach seiner Frau Serka, die von Urken entführt worden sei. Räuberische Clans durchstreifen die Wüsten auf grotesken Tieren, mit seltsamen Waffen und undurchsichtigen Zielen.
Simon Spurrier („Hellblazer“, „Cry Havoc“, „The Spire“) erzieht seine Leser*innen sehr konsequent dazu, nicht zu glauben, was sie sehen oder lesen: Manches Mal entpuppt sich der mächtige Magier als altersdementer Eremit. So gelingt es „Coda“, immer und immer wieder zu überraschen.
Die Ironie, die der britische Erfolgsautor Simon Spurrier der Serie eingehaucht hat, entsteht unter anderem dadurch, dass wir den Helden nicht nur in Action beobachten, sondern auch seine Tagebucheinträge mitverfolgen, die er an Serka richtet, die aber vor allem kritisch-distanziert reflektieren, was wir auf den Bildern sehen. So golden, lernen wir im Verlauf der Tagebucheinträge, die in kleinen Captions die Handlung begleiten, war die Vergangenheit eben doch nicht: „Die alte Welt war wunderschön und strahlend und tollkühn. Nicht so mein Fall.“
Als dem Helden die ehrwürdigen Paladine vorgestellt werden, klassisches Fantasy-Versatzstück, muss dieser lachen: „Sorry. Das war ja schon vor dem Quench saumäßig albern.“
Das letzte Kapitel beginnt mit einer vierseitigen Rückblickerzählung über den Quench, verfasst in mühsam-paargereimten, unregelmäßigen Versen. Das ist weder poetisch noch elegant, sondern etwa so gelungen wie die meisten Geburtstags- und Hochzeitsgedichte. Und auch hier überrascht Spurrier, wenn er danach eine der Figuren den Gedichtvortrag kommentieren lässt: „Krumme Reime, dieser holprige Rhythmus. Ist ja schon viel Aufwand …“
Am Ende wird er, soviel darf man verraten, nach einer epischen Schlacht seine Frau schließlich wiederfinden, aber selbst dieses Klischee-Versatzstück setzen Spurrier und Bergara so einfallsreich in Szene, dass es nicht langweilig ist.
Der südamerikanische Zeichner Matias Bergara („Sons of Anarchy“, „Cannibal“) gestaltet diese verrückte Welt sehr abwechslungsreich, mal sehr reduziert mit nur angedeuteten Hintergründen, mal sehr detailfreudig. Den Figuren kann man dank ihrer Accessoires auch in rasanten Szenen gut folgen. Die grotesken Wesen, die Bergara in diese Welt und Michael Doig in Farbe gesetzt hat, gehen einem nicht mehr aus dem Kopf.
Die bei BOOM! in zwölf Heften zwischen Mai 2018 und Mai 2019 publizierte Fantasy-Serie wird nun von Cross Cult auch in Deutschland verfügbar gemacht. Dies ist der erste von drei Bänden. Band 2 soll im März, Band 3 im August 2022 folgen. Dieser Beitrag erschien zuerst in der Multimania #85.