Ein spanischer Wissenschaftler, Ángel Molinos, stellt sein kreatives Talent in den Dienst eines dubiosen Pharmakonzerns, dessen Geschäftsmodell in der Erfindung psychischer Krankheitsbilder besteht: Als Rhytidophobie bezeichnet man die übersteigerte Angst vor Falten, als Aporophobie die Armenfeindlichkeit, als Frotteurismus das krankhafte Reiben der Genitalien in Menschenmengen.
Die Pharmawirtschaft hat eine einfache Rechnung aufgestellt: mehr Krankheitsbilder, mehr Medikamente, mehr Profit. Es überrascht nicht, dass der Protagonist, dessen Perspektive wir folgen, überall Verschwörung und Verrat ahnt. Als ein Kollege verschwindet, nachdem er zum Whistleblower geworden ist, scheint Ángel sich immer tiefer in ein dubioses Netz konkurrierender Interessen und Lügen zu verstricken. „Ich kann Realität und Fantasie nicht auseinanderhalten“, sagt er selbst und könnte nicht besser zusammenfassen, was auch für den Leser gilt.
Ich, der Verrückte ist das Mittelstück einer Noir-Trilogie, deren Abschlussband Autor Antonio Altarriba und Zeichner Keko demnächst fertigstellen möchten. Wie in der erfolgreichen Serienmörder-Geschichte Ich, der Mörder über einen spanischen Kunsthistoriker, der das Töten zur Kunst erhebt, trägt der düstere, expressionistisch angehauchte Schwarz-Weiß-Stil zu der Stimmung erheblich bei. Die Architektur ist so verwinkelt wie ein Caligari-Remake und zugleich so undurchdringlich wie die Psyche des Helden. Altarriba führt uns querbeet durch die Kunstgeschichte, von mittelalterlichen Narrenschiff-Drucken über die Skulpturen Giacomettis bis zu Jeff Koons, der sogar eine zentrale Rolle für die Handlung spielt. Die Geschäftspraktiken des Pharma-Unternehmens geben zudem Anlass, darüber nachzudenken, was eine Gesellschaft als Krankheitsbild aus dem Spektrum des „normalen“ aussondert.
Mit diesem anspielungsreichen Thriller knüpfen Altarriba und Keko an den Erfolg des vielfach ausgezeichneten Erstlings an und lassen einen krönenden Abschluss erwarten. Übrigens: Rhytidophobie, Aporophobie und Frotteurismus hat Altarriba sich nicht ausgedacht.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Deadline #190.